Als Schwarz-Weiß in der Bundesliga spielte

Schwarz-Weiß-Handballerinnen im siebten Himmel:

Vor 30 Jahren gelang der Bundesliga-Aufstieg, es blieb ein besonderes, kurzes Abenteuer / Otto Wittmer hat alle Facetten der Entwicklung und das traurige Ende miterlebt

Es war eine Klettertour in die höchste deutsche Klasse mit kurzer Verweildauer auf dem Gipfel. Ehe quasi alle im Paragleiter in verschiedene Richtungen davonschwebten und bald darauf überhaupt nichts mehr übrig war vom vorübergehenden Glanz, den der Stichtag 23. Mai 1992 im besonderen Maße markiert. Der Tag, an dem die Handballerinnen von Schwarz-Weiß Wiesbaden vor 30 Jahren in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga dominierten. Nach Erfolgen über Eintracht Braunschweig, den Hasteder TSV und die TSG Wismar feierten 600 Zuschauer in der Halle am Elsässer Platz das finale 22:20 über die SG Berlin. DDR Rekordnationalspielerin und 1978er-Weltmeisterin Katrin Mietzner im Schwarz-Weiß-Wiesbaden-Dress war über die gesamte Spielzeit kurzgedeckt worden, blieb ohne Tor, dafür sprangen Liane Voge, Christine Hermann (je 6 ) und Alexandra Istel (4) als Hauptwerferinnen in die Bresche. Die Torfrauen Melanie Günther und Claudia Bauer sowie im Feld ferner Silvia Kilian, Vera Radic, Anja Jarosch, Petra Ritter, Simone Hegebart, Elke Jahn und Gabi Birlenbach zählten seinerzeit zum Kader. Chefcoach war der von Bayer Leverkusen gekommene Volker Ligges, ihm stand Co-Trainer Norbert Gwiozda zur Seite, Annemarie Ritter war als Betreuerin mit an Bord. Es war eine Erfolgsstory mit facettenreicher Vorgeschichte und bitterer Pointe.

Otto Wittmer hat das alles als Verantwortlicher oder Beobachter hautnah miterlebt. ,,Ich wollte die Zeit nicht missen. Sie war schön und aufregend“, sagt er im Rückblick. Durch seine Frau Karin, die unter ihrem Mädchennamen Opper bei Schwarz-Weiß bis zur Regionalliga spielte, war er zum Handball gekommen. Um Anfang der 1980er Jahre Abteilungsleiter zu werden. Der Hessentitel 1982 unter Trainer Horst Hacker markiert den Aufschwung. Der Anfang 2021 kurz vor seinem 67. Geburtstag verstorbene Trainer Heinz-Peter „Beppo“ Brehm, den Wittmer geholt hatte, forcierte die Entwicklung- Über die Regionalliga im Jahr 1985 ging es 1986 hinauf in die 2. Bundesliga. Als Brehm 1989 entlassen wurde, ,,hat mir das nicht gefallen“, erinnert sich Otto Wittmer.  Er verpflichtete mit Manfred Meudt noch einen Nachfolger, „danach war zunächst für mich der Ofen aus“.

Als Manager stieg 1991 „Ossi“ Osimowitz ein. Er fädelte die Verpflichtungen von Katrin Mietzner und Liane Voge (SC Leipzig) ein, sorgte für einen Busunternehmer als Sponsor. Mitte 1991 stieg Wittmer wieder mit ein, kümmerte sich mit Kas­sierer Rainer Giehl und dem Vor­sitzenden Walter Langenberger um die Bewältigung aufgekeim­ter Probleme. Grund: Steuern und Sozialabgaben waren am Finanzamt vorbeigelaufen. Mit der Folge von jahrelangen Nachzahlungen an das Finanzamt. Fortan wurde höchsten Wert da­rauf gelegt, seriös zu wirtschaf­ten und zu arbeiten „Sonst hät­te man mich dafür auch nicht mehr bekommen“, betont Otto Wittmer, der generell kein Freund des Sports mit Zuwen­dungen war. Doch ohne Geld ging es nicht. Procedo, das Unternehmen von Dieter Klind­worth, das sich seit 1986 auf Wittmers Vermittlung hin bei Schwarz-Weiß engagierte, sprang in die Bresche. Mit zwei Torfrauen und ganzen acht Feld­spielerinnen ging die Mission Bundesliga los – Trainer Ligges und Liane Voge hatten sich drei Wochen nach dem Aufstieg zu Grün-Weiß Frankfurt verab­schiedet. Manager Wittmer re­agierte, holte seinen Spezi Bep­po Brehm per Handschlag-Ver­trag zurück. Prompt gelang zum Start bei GW Frankfurt, wo be­reits Ex-Schwarz-Weiß-Rück­raum-Ass Heike Goslar spielte, ein Remis. Mit 13 Zählern stand am Ende der Saison 1992/93 nach Duellen mit Bayer Lever­kusen, Walle Bremen und dem TV Lützellinden um Dr. Jürgen Gerlach Platz neun im Zwölfer­feld zu Buche. Und damit die Rettung. Das womöglich noch größere Wunder als der Auf­stieg. 

Ein Wunder ohne positive Sog­wirkung, denn das Team zer­streute sich in alle Winde. ,,Herr Klindworth hat sich zurückge­zogen, weil wir keine Mann­schaft zusammenbekommen haben und es an Jugendarbeit fehlte. Beppo und ich sind noch durch halb Deutschland gefah­ren, doch wir haben kein Team mehr zusammenbekommen. Es fehlten insgesamt finanzielle Grundlagen und Sponsoren. Im Mai 1993 sind wir deutscher Meister der DJK-Vereine gewor­den, das war das Ende“, fasst Wittmer im Rückblick zusam­men. 1993/94 gab es kein Schwarz-Weiß-Team mehr in der Bundesliga, 1995 gar keine Frauen-Mannschaft mehr. Der Gipfelsturm war zum Absturz geworden, während Sponsor Dieter Klindworth 1994 in den Fokus der Justiz geraten war. „Ich habe seitdem vielleicht zwei, drei Spiele gesehen, an­sonsten beim Handball komplett einen Schlussstrich gezogen“, schildert Wittmer, der am 7. Ju­ni 74 wird und auch lange als Schiedsrichter im Einsatz war.

Der Artikel erschien im Wiesbadener Kurier